Warehouse Healing: Kontinuierliche Micro-Optimierungen für eine agile Lagerlogistik
In der Lagerlogistik zählt die optimale Lagerplatzvergabe zu den entscheidenden Stellschrauben für Effizienz und Schnelligkeit. Während klassische Neuordnungen des Lagers oft teuer und aufwendig sind, setzt „Warehouse Healing“ auf kleine, kontinuierliche Optimierungen. Der Artikel beschreibt diesen pragmatischen Ansatz und stellt empirische Einsparpotenziale von bis zu 65 % der Wegzeiten vor.
Einleitung
Die Effizienz der Lagerplatzzuweisung (Warehouse Slotting) spielt für Großhändler eine entscheidende Rolle bei der Reduktion von Laufwegen und Bearbeitungszeiten in der Kommissionierung. Untersuchungen haben gezeigt, dass in nicht optimierten Lagerstrukturen die Wegzeiten zum Pick über 50 % der Gesamtkommissionierdauer ausmachen, während das eigentliche Entnehmen der Produkte aus den Regalfächern nur etwa 10 % in Anspruch nimmt [1]. Aus diesem Grund ist eine zielgerichtete Platzzuweisung unerlässlich, um sowohl die Wege als auch die Pickzeiten spürbar zu verringern und dauerhaft gering zu halten.
Traditionell wird hierfür häufig ein umfassendes Re-Warehousing eingesetzt, bei dem das gesamte Lagersystem in einem einzigen Schritt neu geordnet wird. Dieser Ansatz erfordert jedoch erhebliche personelle und zeitliche Ressourcen und führt mitunter zu Betriebsunterbrechungen. Als schonendere Alternative hat sich das „Warehouse Healing“ etabliert, bei dem kontinuierlich und in kleinen Schritten Anpassungen vorgenommen werden. Moderne Lagerverwaltungssysteme (LVS) automatisieren diesen Prozess vielfach, sind jedoch mit hohen Anschaffungs- und Wartungskosten verbunden und nicht unbedingt für jeden Betrieb realisierbar. Die Grundprinzipien des Warehouse Healing lassen sich jedoch auch ohne ein vollintegriertes LVS umsetzen, sodass Unternehmen unabhängig von ihrer technischen Ausstattung Laufwege reduzieren, Pickzeiten optimieren und Kosten einsparen können.
Was ist Warehouse Healing?
Warehouse Healing ist ein Ansatz zur kontinuierlichen Verbesserung der Lagerorganisation, ohne dabei den Betrieb erheblich zu stören. Anstatt das komplette Lager in einem Kraftakt neu zu strukturieren, werden gezielt kleinere Optimierungen vorgenommen. Das funktioniert ähnlich wie bei einem lernenden System: Basierend auf realen Kommissionierdaten wird erfasst, welche Artikel häufig gemeinsam gepickt werden oder besonders oft gebraucht werden und diese rücken Stück für Stück näher zusammen oder an strategisch günstige Plätze.
Das Prinzip: häufig genutzte Artikel dahin, wo sie schnell erreichbar sind und Artikel, die oft zusammen bestellt werden, möglichst nah zueinander. Daraus ergeben sich automatisch kürzere Wege, schnellere Kommissionierung und ein reibungsloserer Ablauf.
Herangehen des Warehouse Healing
Jeder Warehouse-Healing-Prozess beginnt mit der gezielten Erfassung und Auswertung von Auftragsdaten. Ziel dieser Analyse ist es, einen Bewertungsscore für sämtliche Einzelartikel und deren Kombinationen zu berechnen. Die Datenerhebung erfolgt in mehreren Schritten: Zunächst werden alle relevanten Kommissionier- und Bestelldaten erfasst und aufbereitet. Dabei ist es notwendig, fehlerhafte oder unvollständige Datensätze zu bereinigen, um die Aussagekraft der Analyse sicherzustellen.
Im Anschluss daran wird die Betrachtung und Bewertung der Artikel aufgrund der Pick-Häufigkeit und der Affinität von Artikel zueinander vorgenommen.
Nach der Ermittlung dieser beiden Bewertungen werden sie zu einem kombinierten Bewertungsscore zusammengeführt. In einem letzten Schritt erfolgt eine Plausibilitätsprüfung, um Ausreißer zu identifizieren und mögliche Datenverzerrungen zu minimieren. Die kontinuierliche Anwendung dieses Verfahrens führt zu einer schrittweisen Verbesserung der Lagerstruktur. Durch regelmäßige Neubewertungen lassen sich aufkommende Ineffizienzen frühzeitig erkennen und ausgleichen. Das Resultat ist ein Lager, das sich dynamisch an veränderte Anforderungen anpasst, ohne dass dafür umfangreiche Umbaumaßnahmen erforderlich sind.


Ein praxisnahes Beispiel zeigt das Lagerlayout aus der Vogelperspektive, wie es von Kofler et al. (2010) dargestellt wurde. In der Ausgangssituation (Abbildung 1) ist gut erkennbar, dass häufig benötigte oder gemeinsam bestellte Artikel über das Lager verteilt sind. Dies führt zu unnötig langen Wegen und einer insgesamt trägen Kommissionierstruktur.
Mithilfe einer heuristischen KI-gestützten Analyse [2] lassen sich auf Basis dieser Score-Verteilung gezielte Umlagerungsempfehlungen ableiten. Durch die Implementierung dieser Empfehlungen wird die Lagerplatzzuweisung deutlich effizienter, was zu verkürzten Kommissionierwegen, reduzierten Durchlaufzeiten und insgesamt geringeren Lagerhaltungskosten führt. Abbildung 2 zeigt das Lagerlayout nach der Anwendung des Warehouse Healing-Ansatzes. Die Artikel mit hoher Relevanz befinden sich dann sowohl näher zu Ein- und Ausgängen als auch in sinnvoller Nachbarschaft zueinander.
Studien zeigen, dass sich durch dieses Vorgehen Einsparungen von bis zu 65 Prozent bei den Laufwegen erzielen lassen. [3]
Nutzen und Vorteile des Warehouse Healing
Warehouse Healing erweist sich als effiziente Alternative zu groß angelegten Re-Warehousing-Aktionen, da es folgende Vorteile bietet:
- Reduzierte Laufwege: Durch datenbasierte Anpassungen werden Artikel mit hoher Pick-Häufigkeit konsequent am Ein- und Ausgang positioniert. Dies kann die zurückgelegten Wege in der Kommissionierung um bis zu 60–65 % verringern. [4] [5]
- Gesteigerte Picker-Produktivität: Die Anwendung datengetriebener Lagerplatzzuweisungs-Verfahren erhöht die Anzahl der Picks pro Stunde um rund 20 % und reduziert gleichzeitig die Fehlerrate um etwa 50 %. [6]
- Minimierte Betriebsunterbrechungen: Da nur einzelne Artikel oder kleine Artikelgruppen umgelagert werden, entfallen großflächige Betriebsstopps. Die kontinuierliche Belieferung bleibt gewährleistet.
- Hohe Anpassungsfähigkeit: Unternehmen können flexibel auf saisonale Schwankungen oder veränderte Kundenanforderungen reagieren, da Änderungen schnell implementiert werden können. Dies ist Abhängig von den Anforderungen und Bedürfnissen in der jeweiligen Organisation.
- Nachhaltige Effizienzsteigerung: Durch fortlaufende Optimierungen bleibt das Lagerlayout stets an aktuelle Bedarfe angepasst und verhindert langfristig das Entstehen neuer Ineffizienzen.
Fazit
Warehouse Healing ist eine praxisorientierte und zugleich zukunftsweisende Methode zur schrittweisen Optimierung der Lagerorganisation. Anstelle eines aufwendigen Re-Warehousing-Projekts erfolgt die Verbesserung kontinuierlich im laufenden Betrieb, ganz nach den Anforderungen/ Bedürfnissen der jeweiligen Organisation. Die Basis bildet ein datengetriebener Ansatz, bei dem reale Kommissionier- und Bestelldaten zur Entscheidungsgrundlage werden. So lassen sich Laufwege verkürzen, Pick-Leistungen steigern und Prozesse stabilisieren, ganz ohne Betriebsunterbrechung oder hohe Investitionen.
Gerade vor dem Hintergrund zunehmender Marktvolatilität und steigender Erwartungen an Liefergeschwindigkeit und Flexibilität gewinnt dieser Ansatz an Bedeutung. Warehouse Healing macht Unternehmen agiler, robuster und wirtschaftlich effizienter und bietet damit eine echte Alternative zum klassischen Neuaufbau der Lagerstruktur.
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[1] Kofler, M. et al. (2010) ‘Reassigning Storage Locations in a Warehouse to Optimize the Order Picking Process’
[2] Rani, A., Bakshi, S. and Bansal, R. (2024) ‘AI Strategies for Complex Math Problems: Optimization’
[3] Kofler, M. et al. (2011) ‘Re-warehousing vs. healing: Strategies for warehouse storage location assignment’
[4] Kofler, M. et al. (2011) ‘Re-warehousing vs. healing: Strategies for warehouse storage location assignment’
[5] https://geodis.com/us-en/blog/warehouse-optimization-slotting-wave-pick-improvement (12.06.2025)
[6] https://www.lucasware.com/the-hidden-costs-of-bad-slotting-in-the-warehouse/ (12.06.2025)